Schweiz: Mortalität bei Senioren

Schweiz: Bevölkerung und Mortalität 65+, 1971-2020 (Daten: BFS)

Publiziert: 17. Januar 2021 (akt.)
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Ist die Mortalität der Schweizer Senioren 2020 vergleichbar mit den Vorjahren?

Dr. Pietro Vernazza, Chefarzt für Infektiologie, argumentierte in einem Interview, die Mortalität der Schweizer Senioren (65+) sei 2020 vergleichbar gewesen mit den Jahren 2013 und 2015, da diese Altersgruppe in den letzten Jahren stark gewachsen ist. Epidemiologie-Professor Matthias Egger, der ehemalige Leiter der Schweizer Corona-Taskforce, interpretierte Vernazzas Aussage als “es gab 2020 keine Übersterblichkeit in der Schweiz” und kritisierte das auf Twitter als falsch. Ein Tamedia-Journalist sprach sogar stilgetreu von einer “realitätsfremden Verschwörungstheorie”.

Doch tatsächlich ist Vernazzas Aussage korrekt (siehe Grafik oben): Die Mortalität in der Altersgruppe über 65 lag 2020 in etwa auf dem Niveau von 2012/13 und 2015 – die finalen Zahlen, die Vernazza noch nicht hatte, liegen etwas höher, auf dem Niveau von 2009. Der Grund dafür ist in der Tat das starke Wachstum dieser Altersgruppe in den letzten Jahren (+23% seit 2010).

Allerdings führte das neue Coronavirus insbesondere in der Altersgruppe der 80 bis 89 Jährigen zu einem klaren Trendbruch in der zuvor sinkenden Mortalität (siehe Grafik unten), was relativ zum statistischen Erwartungswert tatsächlich zu einer starken Übersterblichkeit führte (der Einwand von Professor Egger), auf die ein ökonomisch “optimiertes” Gesundheitssystem in einer zunehmend älteren und damit für Pandemien anfälligeren Gesellschaft nicht mehr vorbereitet ist.

Zu bedenken ist ferner, dass die Corona-Antikörper-Seroprävalenz in der Schweiz erst bei etwa 20% liegt, das neue Coronavirus also noch längst nicht die gesamte Bevölkerung erreicht hat. Umso wichtiger sind bzw. wären Schutz, Prophylaxe und ambulante Frühbehandlung für Senioren – ein Aspekt, der in der Schweiz erstaunlicherweise immer noch weitgehend ignoriert wird.

In den Altersgruppen unter 70 besteht in der Schweiz tatsächlich keine Übersterblichkeit. Das Hauptrisiko besteht hier in Long-Covid-Effekten, die laut den besten bisherigen Studien 2% bis 10% der Infizierten länger als drei Monate betreffen, und die in den schlimmsten Fällen zu einer starken Beeinträchtigung der Lebensqualität auch bei jungen Erwachsenen führen können. Aus Public-Health-Sicht könnte dies längerfristig einer der wichtigsten Aspekte der Corona-Pandemie sein.

Im internationalen Vergleich liegt die Schweizer Corona-Mortalität im EU-Durchschnitt.

Grafiken

1) Kumulative Übersterblichkeit, 2010 bis 2021

Schweiz: Kumulative Übersterblichkeit, 2010 bis 2021 (Stotz/BAG/BFS)

2) Kumulative Übersterblichkeit U65, 2010 bis 2021

Schweiz U65: Kumulative Übersterblichkeit, 2010 bis 2021 (Stotz/BAG/BFS)

3) Gesamt-Mortalität 1900 bis 2020 (ohne Alterskorrektur):

Schweiz: Mortalität 1900 bis 2020 (Daten: BFS; keine Alterskorrektur)

4) Mortalität bei Altersgruppen 60+, 1971 bis 2020:

Schweiz: Mortalität in Altersgruppen 60+, 1971-2020 (Daten: BFS)

5) Entwicklung der Lebenserwartung

Die Schweizer Lebenserwartung ging 2020 vorübergehend um 7.5 Monate oder 0.7% zurück.

Schweiz: Lebenserwartung 1880 bis 2020 (Unisanté Lausanne)

6) Regionale Corona-Seroprävalenz (d.h. Antikörper) im Winter 2020/2021

Antikörper-Seroprävalenz nach Altersgruppe und Region (Corona-Immunitas)

Siehe auch


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