Publiziert: 30. Juni 2020
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In einem aktuellen Artikel behauptet der Schweizer Tages-Anzeiger, das schwedische Modell ohne Lockdown sei “gescheitert”. Ein Paradebeispiel für Desinformation.
Ausgangslage ist die richtige Feststellung, dass die schwedische Corona-Mortalität ohne Lockdown bisher insgesamt höher liegt als jene in der Schweiz mit Lockdown.
Doch 75% der schwedischen Todesfälle erfolgten in Pflegeeinrichtungen, die von einem allgemeinen Lockdown der Gesellschaft gerade nicht profitieren. Der Tages-Anzeiger verschweigt das.
(Das Medianalter der schwedischen Todesfälle liegt mit 86 Jahren denn auch weltweit am höchsten. Die schwedische Regierung hat sich, als eine der wenigen, für den ungenügenden Schutz der Pflegeheime entschuldigt und eine Untersuchung eingeleitet.)
Vor allem aber verschweigt der Tages-Anzeiger, dass die kumulierte Gesamtmortalität in Schweden seit Jahresbeginn lediglich im Bereich einer normalen bis starken Grippewelle liegt (siehe Grafik unten). Für einen destruktiven Lockdown der gesamten Gesellschaft gab es somit keinerlei Grund.
(In der Schweiz liegt die kumulierte Gesamtmortalität im Bereich einer milden Grippewelle (siehe unten). Auch hier gab es selbstverständlich keinerlei Grund für den desaströsen gesellschaftlichen Lockdown – zumal der Infektions-Peak ohnehin bereits vor dem Lockdown erreicht war.)
Auch zu einer Überlastung der Krankenhäuser – notabene der ursprünglich angeführte Grund für die angebliche Notwendigkeit eines Lockdowns (“flatten the curve”), kam es in Schweden nicht einmal ansatzweise. Im Tages-Anzeiger liest man davon, naheliegenderweise, nichts.
(Schweizer Kliniken blieben größtenteils leer und mussten oftmals Kurzarbeit anmelden).
Der Tages-Anzeiger argumentiert weiter, die beiden erhofften Hauptvorteile der schwedischen Strategie seien nicht eingetroffen: Die schwedische Wirtschaft würde laut IMF-Prognose stärker schrumpfen als jene der Schweiz, und die Herdenimmunität sei längst nicht erreicht worden.
Beide Punkte sind Desinformation.
Statt sich auf unsichere IMF-Prognosen zu beziehen, schaut man sich besser die bisher bekannten Zahlen an: Die schwedische Wirtschaft wuchs im ersten Quartal als eine der wenigen um 0.4%, die Schweizer Wirtschaft schrumpfte hingegen um 2.6%.
Und wenn Schwedens Wirtschaft künftig auch schrumpft, dann freilich in erster Linie aufgrund der fragwürdigen weltweiten Lockdowns in anderen Ländern (Rückgang bei Tourismus und Handel).
(In der Schweiz befinden sich derzeit zudem 40% aller Arbeitnehmer in Kurzarbeit – der höchste Wert Europas. Die Schweizer Arbeitslosigkeit stieg um circa 50%. Das Hilfspaket beträgt 65 Milliarden.)
Bezüglich Immunität bezieht sich der Tages-Anzeiger auf alte Antikörper-Studien. Denn neue immunologische Studien zeigen, dass die tatsächliche Immunität dank mukosaler und zellulärer Immunität rund fünfmal höher liegt als durch Antikörper-Studien messbar ist.
Die Herdenimmunität ist damit in Schweden sehr wohl weitgehend erreicht – im Unterschied zu Lockdown-Ländern. Der Tages-Anzeiger dürfte das auch wissen, denn der eigene Verlag hat zuvor über die immunologischen Studien berichtet. Doch bezüglich Schweden erwähnt er sie nicht.
Zuletzt musste selbst die WHO ihre “Warnung” vor angeblich steigenden Infektionszahlen in Schweden zurücknehmen – diese basierten, wie übrigens auch in der Schweiz, lediglich auf steigenden Testzahlen. Auch davon war im Tages-Anzeiger, man ahnt es, nichts zu lesen.
Bereits im März war aufgrund von Daten aus Asien und Italien zudem klar, dass bei Kindern das Erkrankungs- und Übertragungsrisiko minimal ist. Schweden ließ seine Grundschulen richtigerweise offen. Die Schweiz hingegen schloss ohne Evidenz alle Schulen und brachte damit viel unnötiges Leid über Kinder und Familien. Der Tages-Anzeiger weiß davon nichts zu berichten.
Der Tages-Anzeiger vergleicht Schweden mit seinen Nachbarländern – doch dass in Dänemark eine Untersuchung gegen die verfehlte Lockdown-Politik der Regierung eingeleitet wurde und sich die norwegische Premierministerin für den überstürzten Lockdown entschuldigte, erfährt man nicht.
Gescheitert ist nicht Schweden. Gescheitert ist, einmal mehr, der Tages-Anzeiger.
Siehe auch: Fakten zu Covid-19 und Corona-App: “Ein eklatanter Betrug”
Grafiken zu Schweden und der Schweiz
1) Corona-Mortalität in Schweden: Modellprognosen versus Realität
2) Schwedische Gesamtmortalität (Nov. bis Mai) seit 1990, bevölkerungsangepasst:
3) Schwedische Gesamtmortalität nach Altersgruppe, 2020 vs. 2015-2019:
4) Schweizer Gesamtmortalität im Vergleich zum Erwartungswert, 2010-2020 (BFS):
Lockdown von Woche 12 bis Woche 19.
5) Schweizer Lockdown erfolgte erst nach dem Infektions-Peak
Quelle: ETH Zürich / Dr. Pietro Vernazza