
Aktualisiert: September 2021
Publiziert: Oktober 2018
Sprachen: Englisch, Deutsch
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Übersicht
Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist ein integraler Bestandteil des transatlantischen Medien- und Informationssystems. In der folgenden Analyse werden zentrale Aspekte ihrer Organisationsstruktur, Funktionsweise und Manipulation dargestellt. Sodann werden die Rollen der Wikimedia Foundation und der traditionellen Medien diskutiert sowie verschiedene Analysetools vorgestellt.
Bedeutung der Wikipedia
Die deutschsprachige Wikipedia verfügt derzeit über rund 2.2 Millionen Artikel, die pro Monat von rund 100 Millionen Geräten knapp 1 Milliarde mal aufgerufen werden. Im deutschsprachigen Raum zählt die Wikipedia damit zu den sieben meistbesuchten Websites und ist bei vielen Internetrecherchen eines der ersten Suchergebnisse und mithin eine der ersten Anlaufstellen.
Im Bereich der Online-Lexika kommt der Wikipedia damit eine zentrale, monopolartige Stellung zu.
Organisation der Wikipedia
Die Wikipedia gilt gemeinhin als ein freies und offenes Lexikon, an dem jeder mitwirken kann. Der Großteil der deutschsprachigen Inhalte wird indes von nur rund 800 Autoren mit über 100 Edits pro Monat verfasst; durchschnittlich erreichen nur wenige Tausend Autoren mehr als fünf Edits pro Monat.
Zudem existiert innerhalb der Wikipedia eine strenge Hierarchie, an deren Spitze circa 30 Funktionäre und 150 Administratoren stehen. Diese entscheiden Konflikte, können Artikel löschen sowie Benutzer sperren. Administratoren werden von den ca. 3000 stimmberechtigten Wikipedianern ohne Befristung gewählt, wobei die Stimmbeteiligung meist bei weniger als 10% liegt (ca. 300 Stimmen); die Wikipedia-Administration ernennt und bestätigt sich mithin größtenteils selbst. Trotz ihrer Machtfülle agieren ca. 90% der Administratoren pseudonym, in der Öffentlichkeit ist meist nur wenig über sie bekannt.
Unterhalb der Administratoren befinden sich die sogenannten Sichter, die Bearbeitungen von Neu-Autoren überprüfen, freigeben oder revertieren. Dies ist ein wichtiger Kontrollmechanismus, der in der Praxis aber auch zu Konflikten führen kann. Neben den angemeldeten Autoren (mit Benutzernamen) gibt es zudem noch unangemeldete Autoren, durch die circa 20% aller Artikelbearbeitungen erfolgen.
Manipulation der Wikipedia
Das Problem der Manipulation der Wikipedia besteht seit deren Gründung. Der Fokus liegt dabei meist auf dem sogenannten »Vandalismus« (Verunstaltung von Artikeln) sowie auf kommerziell motivierter Manipulation durch Konzerne, PR-Agenturen und bezahlte Autoren.
In einem der bekanntesten Fälle war ein Administrator der deutschen Wikipedia (“Kuebi”) zugleich Projektmanager beim US-Pharmakonzern Merck und manipulierte über mehrere Wikipedia-Konten (sog. “Sockenpuppen”) Artikel zur Geschichte und den Produkten von Merck. Der Fall wurde 2015 aufgedeckt, hatte für den Administrator indes keine Konsequenzen.
Bekannt ist jedoch auch die politische und geopolitische Manipulation durch Aktivisten, Regierungen und Geheimdienste. So wurde bereits 2007 durch den sogenannten WikiScanner nachgewiesen, dass Mitarbeiter der US-Geheimdienste CIA und FBI Wikipedia-Einträge beispielsweise zum Irak-Krieg und dem US-Militärgefängnis in Guantanamo editierten. 2016 wurde publik, dass Schweizer Bundesbeamte kritische Abschnitte aus dem Artikel zum eigenen Nachrichtendienst entfernten.
Inzwischen ist indes offenkundig, dass die Manipulation der Wikipedia insbesondere bei geopolitischen und gesellschaftspolitischen Themen nicht mehr nur vereinzelt und »von außen« geschieht, sondern systematisch und »von innen«: Einflussreiche Interessensgruppen haben ihre Akteure in der Hierarchie der Wikipedia als Sichter und Administratoren platziert und können dadurch relevante Artikel gezielt bearbeiten, unerwünschte Bearbeitungen entfernen und unerwünschte Autoren sperren.
Zahlreiche Wikipedianer beklagen denn auch ein aggressives und frustrierendes Klima innerhalb der Wikipedia; die Anzahl der aktiven Autoren ist seit Jahren rückläufig, wodurch politisch oder ideologisch motivierte Akteure ihren Einfluss schrittweise ausbauen konnten.
Manipulation durch Netzwerke
Die systematische Manipulation der Wikipedia geschieht durch netzwerkartige Gruppierungen. Diese bestehen aus einigen höchst aktiven Benutzern (oder Benutzergruppen), die zumeist anonym bzw. pseudonym auftreten. Aufgrund von Recherchen unabhängiger Investigativjournalisten konnten die Mitglieder dieser Netzwerke inzwischen teilweise eruiert werden. Siehe hierzu insbesondere:
- Die beiden Filmdokus »Die dunkle Seite der Wikipedia« (2015) und »Zensur« (2017)
- Die mehrteilige Investigativ-Serie »Geschichten aus Wikihausen« (seit 2018)
- Die aktualisierte Übersichtsgrafik zu den manipulativ agierenden Autoren (2019)
Mithilfe der weiter unten vorgestellten Analyse-Werkzeuge lassen sich die umfangreichen Aktivitäten dieser Netzwerke rekonstruieren. Während bei geopolitischen Themen die transatlantische Sichtweise dominiert (zu Themen mit Israel-Bezug siehe zudem hier), besteht bei gesellschaftspolitischen Themen eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit Positionen regierungsnaher Berliner Stiftungen.
Politiker, Publizisten und Forscher mit abweichenden Standpunkten werden in der Wikipedia bisweilen geradezu diffamiert; aufgrund der dargestellten Machtstruktur und der Anonymität können Betroffene im Allgemeinen weder auf die Diffamierungen reagieren noch deren Urheber belangen.
2019 entschied das Landgericht Hamburg im Präzedenzfall »Feliks« hingegen erstmals, dass die Identität eines denunziativ agierenden Wikipedia-Autors von öffentlichem Interesse ist. Der Wikipedia-Autor »Feliks« – ein Mitglied des pro-israelischen Flügels der deutschen Linkspartei und ein ehemaliges Auslandsmitglied der israelischen Armee – wurde in der Folge von mehreren Betroffenen rechtlich belangt.
Die systematische Manipulation der Wikipedia ist ein weltweites Phänomen. Ähnliche Operationen wurden auch in der englischsprachigen Wikipedia aufgedeckt, inklusive Hinweisen auf eine nachrichtendienstliche Koordination, die auch im deutschsprachigen Raum nicht auszuschließen ist.
So wurde bereits 2007 einer der einflussreichsten Administratoren der englischen Wikipedia als ehemaliger MI5-Informant enttarnt, der unter falscher Identität in Kanada lebte und Wikipedia im Sinne der britischen Regierung bearbeitete. Wikipedia-Gründer Jimmy Wales verteidigte ihn dennoch.
Mehr dazu: Wikipedia: Eine Desinformations-Operation? (SPR, 2020)
Die Rolle der Wikimedia Foundation
Die amerikanische Wikimedia Foundation ist die Trägerstiftung der Wikipedia (sowie weiterer Wiki-Projekte). Sie verfügt inzwischen über jährliche Spenden-Einnahmen von rund 90 Millionen Dollar und ein Vermögen von rund 120 Millionen Dollar. Zu den größten Spendern zählen dabei diverse US-Konzerne sowie einflussreiche Stiftungen, wodurch es wiederholt zu Interessenskonflikten kam. Wikimedia-Gründer Jimmy Wales war ein Young Global Leader des World Economic Forum (WEF) Davos und ist ein privater und geschäftlicher Partner des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair.
Auch die Unterorganisation Wikimedia Deutschland ist einschlägig vernetzt: So war der ehemalige Geschäftsführer der Wikimedia Deutschland zuvor Vizepräsident für Unternehmenskommunikation bei der Bertelsmann-Stiftung und wechselte danach als Staatssekretär in die Berliner Landesregierung. Der im Besitz der Bertelsmann-Stiftung befindliche Bertelsmann-Medienkonzern ist Unternehmenspartner der Atlantik-Brücke und betreibt über den Dienstleister Arvato die sogenannte »Inhaltsmoderation« für das deutschsprachige Facebook.
Seitens der Wikimedia Foundation ist insofern kaum mit Kritik an der (geo-)politischen Ausrichtung und Manipulation der Wikipedia zu rechnen. Liegen jedoch gerichtliche Verfügungen beispielsweise aufgrund von Verleumdungen vor, muss Wikimedia die fraglichen Passagen entfernen. Betroffene können hierfür unter Berufung auf das Internationale Privatrecht eine Klage an ihrem Wohnsitz einreichen.
Die Rolle der traditionellen Medien
Traditionelle Medien sind einerseits häufig verwendete Quellen für Wikipedia-Artikel, andererseits greifen Journalisten für Recherchen bisweilen selbst auf Wikipedia zurück. Hierdurch können geschlossene Informationskreisläufe entstehen, bei denen sich traditionelle Medien selbst bestätigen und alternative Sichtweisen ausgeblendet bleiben, zumal etwa leserfinanzierte Online-Medien von den maßgebenden Wikipedia-Administratoren meist nicht als »relevante Quellen« zugelassen werden.
Traditionelle Medien berichteten verschiedentlich über die Manipulation der Wikipedia durch einzelne Konzerne, Parteien oder Agenturen, nicht jedoch über die systematische (geo-)politische Manipulation. Dies könnte daran liegen, dass traditionelle Medien im deutschsprachigen Raum ihrerseits in transatlantische Elitennetzwerke eingebunden sind und deshalb im Allgemeinen dieselben (geo-)politischen Positionen vertreten, die auch in der Wikipedia dominieren.
Amerikanische Social-Media-Plattformen wie Youtube und Facebook haben 2018 zudem angekündigt, bei »umstrittenen Themen« künftig auf entsprechende Wikipedia-Artikel zu verlinken. Damit gewinnt die Wikipedia im transatlantischen Mediensystem zusätzlich an Bedeutung.
Analyse-Werkzeuge
Verschiedene Online-Werkzeuge ermöglichen eine professionelle Analyse von Wikipedia-Beiträgen und ihren Autoren. Zu den wichtigsten Werkzeugen zählen hierbei:
- WikiWho: Diese am Karlsruher Institut für Technologie und dem Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften entwickelte Browser-Erweiterung ermöglicht es, Artikel-Autoren sowie kürzlich hinzugefügte und besonders umstrittene Textstellen farblich hervorzuheben.
- X-Tools: Die X-Tools sind eine von langjährigen Wikipedianern erstellte Sammlung an Analyse- und Statistikwerkzeugen, mit denen sich Benutzerbeiträge, Seitenhistorien und viele weitere Aspekte untersuchen und grafisch darstellen lassen.
- Wikibu: Wikibu ist ein an der Pädagogischen Hochschule Bern entwickeltes Werkzeug, das die Qualität von Wikipedia-Artikeln anhand formaler Kriterien wie der Anzahl der Autoren, Verweise und Quellen bewertet und zusätzlich auf mögliche Qualitätsrisiken hinweist.
Für den professionellen Umgang mit Wikipedia empfiehlt sich zudem das Studium der öffentlich einsehbaren Diskussionsseiten und Versionsverläufe der fraglichen Artikel.

Perspektiven
Wikipedia hat sich, wie dargestellt, zu einem integralen Bestandteil des transatlantischen Medien- und Informationssystems entwickelt. Insbesondere bei geopolitischen und einigen gesellschaftspolitischen Themen kann die Wikipedia im Allgemeinen keine objektive Darstellung bieten.
Die Erfolgsaussichten für eine interne Reform der Wikipedia erscheinen bislang gering, da manipulative Gruppierungen ihre Stellung in der Wikipedia-Hierarchie durch mehrjährige, koordinierte, verdeckte und mindestens teilweise extern finanzierte Aktivitäten weitgehend abgesichert haben.
In Bezug auf Wikipedia stehen derzeit somit primär die Aufklärung der Manipulationsstrukturen, die Schulung der persönlichen Medienkompetenz, die Nutzung alternativer Onlineressourcen, der Fokus auf Primärquellen, sowie Maßnahmen im Falle von Verleumdungen im Vordergrund.
»Was mit der Wikipedia geschieht ist ein Skandal. Ich habe früher mitgeschrieben und kann die Diktatur der Admins bestätigen. Es geht nicht um Argumente, sondern um Macht.«
— Ein ehemaliger Wikipedianer —
Weiterführende Literatur
Weiterführende Literatur zur Manipulation der Wikipedia (sortiert nach Publikationsdatum).
2010–2015:
- Wikipedia: Die Macht der Wenigen (Bundeszentrale für politische Bildung, 2012)
- Wikipedia: Feindliche, ideologische Übernahme (ScienceFiles, 2012)
- Wikipedia: Wir machen Meinung (Deutsche Wirtschafts-Nachrichten, 2013)
- Verdeckte PR in Wikipedia (Studie der Otto Brenner Stiftung, 2014)
- Wie Unternehmen Wikipedia manipulieren (Infosperber, 2014)
- Wikipedia: Desinformation im Auftrag der NATO-Doktrin (Rote Fahne, 2014)
- Wikipedia, 9/11 und das Problem mit dem Dissens (Telepolis, 2014)
- Der Merck-Wikipedia-Skandal (Unternehmens-PR, Junge Welt, 2015)
- Jimmy Wales: Eine Ikone mit Schönheitsfehlern (Telepolis, 2015)
- Bleibt Wikipedia in Deutschland rechtlich geschützt? (Wikimedia, 2015)
- “Ich habe für eine Agentur Wikipedia-Artikel manipuliert” (Vice, 2015)
- Die Gesinnungswächter der Wikipedia (Free21, 2015)
2016–2018:
- Wie die Wikipedia sich selbst zerstört (Nachdenkseiten, 2017)
- Wikipedia: Die Schönfärberei der Bundesbeamten (Aargauer Zeitung, 2017)
- Wikipedia: Mafiöse Strukturen, Manipulationen und Millionen (Medium, 2017)
- EN: Wikipedia: Top 1 percent create 80 percent of content (Purdue University, 2017)
- Wikipedia und transatlantische Thinktanks (Interview, Gruppe 42, 2018)
- Wikipedia: Auf dem Weg zum Orwellschen Wahrheitsministerium (Telepolis, 2018)
- Urteil gegen Wikipedia: Keine rufschädigende Kritik ohne Recherche (Heise, 2018)
- Wikipedia: Das kontaminierte Lexikon (Tichys Einblick, 2018)
- Unternehmens-PR: Verifiziert und manipuliert (Golem, 2018)
- EN: Wikipedia: Rotten to the Core (Helen Buyniski, Medium, 2018)
- EN: Phillip Cross: The Mystery Wikipedia Editor Targeting Anti-War Sites (ML, 2018)
2019–2021:
- Wikipedia: Zur Löschung vorgeschlagen (Medienmagazin Journalist, 2019)
- Landgericht Hamburg: Urteil im Wikipedia-Prozess (SPR, 2019)
- Gekaufte Wahrheiten auf Wikipedia (Süddeutsche, 2019)
- Fälschen für den Meisterfälschen (Tages-Anzeiger, 2019)
- Deanonymisierung von Autoren politischer Beiträge zulässig (Kompa, 2020)
- EN: Wikipedia: A Disinformation Operation? (SPR, 2020)
- Buch: Schwarzbuch Wikipedia (Zeitgeist Verlag, 364 Seiten, 2020)
- PR-Rat rügt Wikipedia : Da fehlt es an Transparenz (FAZ, 2020)
- EN: Wikipedia – Information Wars (Craig Murray, 2020)
- Viadrina: “Wikipedia ist 2021 keine seriöse Quelle mehr” (RBB24, 2020)
- Kritik an Wikipedia: Warum schreiben Autoren anonym? (NDR, 2021)
- Von Neutralität ist Wikipedia meilenweit entfernt (ZDF nano, 2021)
Weiteres:
- Die Wikipedia-Blacklist (PlusPedia, 2016, Archiv)
- Kritischer Artikel zur Wikipedia auf Pluspedia (Pluspedia)
- Kritik an Wikipedia (Artikel auf Wikipedia)
Siehe auch
- Wikipedia: Eine Desinformations-Operation? (SPR, 2020)
- Maßnahmen bei Missbrauch der Wikipedia (SPR, 2019)
- Das Skeptiker-Syndrom (Dr. Edgar Wunder, 1998/2019)