Uwe Barschel: Ein Mossad-Mord (1987)

Die Leiche von Uwe Barschel im Genfer Hotel Beau-Rivage (Stern, 1987)

Publiziert: Februar 2024

Mossad-Whistleblower Victor Ostrovsky zum Mord an Uwe Barschel.

Einleitung

In seinem Buch “The Other Side of Deception” von 1994 beschrieb Mossad-Whistleblower Victor Ostrovsky erstmals, wie und warum der israelische Geheimdienst den früheren Minister­präsidenten von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel, 1987 zunächst aus dem Amt drängte und schließlich in Genf ermordete. Ostrovskys detaillierte Aussagen zum Tathergang wurden später von einem Schweizer Toxikologen, Professor Hans Brandenberger, unabhängig bestätigt. Deutsche Medien spekulieren hingegen bis heute über einen angeblichen “Selbstmord” Barschels.

2017 befassten sich zudem die beiden Autoren Patrick Baab und Robert Harkavy in ihrem Buch “Im Spinnennetz der Geheimdienste” mit dem Mord an Uwe Barschel. Sie kamen zum Ergebnis, dass die Darstellung Ostrovskys in sich schlüssig ist und fügten an, dass Barschel in Genf die Rufnummer eines Mitarbeiters der israelischen Botschaft bei sich trug, während der Genfer Obduzent, der keine Spuren von Fremdeinwirkung erkennen wollte, ein Doppelagent der CIA war.

Der Mord an Uwe Barschel erfolgte laut Ostrovsky im Kontext der Iran-Contra-Waffenaffäre der 1980er Jahre, in die Barschel hineingezogen wurde. Ostrovsky beschreibt eine indirekte Beteiligung des deutschen Bundes­nach­richten­dienstes (BND) an der Beseitigung Barschels, erwähnt hingegen keine amerikanischen Dienste oder Personen. Letzteres könnte indes auch darin begründet sein, dass Ostrovsky im Zuge seiner Mossad-Enthüllungen in die Vereinigten Staaten floh.

Der folgende Text stammt aus der deutschen Übersetzung von Ostrovskys Buch, die der Bertelsmann Verlag 1994 unter dem Titel “Geheimakte Mossad” veröffentlichte (PDF). Die Hyperlinks und die Erläuterungen in eckigen Klammern wurden 2024 von Swiss Policy Research hinzugefügt. Weitere Auszüge aus Ostrovskys Buch finden sich in diesem Beitrag.

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“Diese Operation weist all die schmutzigen Elemente auf, die für die Aktivitäten des Mossad in einem befreundeten Land so typisch sind.”

Victor Ostrovsky, “Geheimakte Mossad”, S. 294 (1994)

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Der Mord an Uwe Barschel (Victor Ostrovsky, 1994)

{Auszug aus: Geheimakte Mossad, Kapitel 25, Seiten 287-299, 1994, PDF}

Operation Hannibal

“An sich war die Operation Hannibal ein Waffendeal zwischen Israel und Iran, wobei der deutsche Geheimdienst als Strohmann diente. Da der Iran dringend Ersatzteile für seine ramponierte Luftwaffe brauchte und Israel die Teile besaß, vor allem für die »Phantom F-4«, lag nahe, sie ihm zu verkaufen, zumal die Verlängerung des Iran-Irak-Krieges ein erklärtes Ziel des Mossad war. Dabei wurde auch nicht vergessen, bei dem Deal einen finanziellen Gewinn herauszuschlagen.

Da der Iran und sein Ayatollah Khomeini nicht gerade begeistert waren, direkt mit Israel, das zu zerstören sie täglich schworen, Geschäfte zu machen, wurden die Deutschen als Zwischenhändler eingeschaltet. Der BND, der deutsche Bundesnachrichtendienst, wurde ausgesucht, um den Job zu machen, obwohl der Mossad die örtlichen Dienststellen des Verfassungsschutzes sowohl in Hamburg als auch in Kiel auf dem laufenden hielt. Eine Zusammenarbeit dieser Art mit dem BND war ziemlich neu; normalerweise ließ der Mossad bei seinen Operationen in Deutschland den BND im dunkeln.

Im Mossad wurde der BND als unzuverlässig angesehen, weil der Mossad sicher war, daß die Stasi ihn stark infiltriert hatte. Außerdem stand er Helmut Kohl sehr nahe, der kein besonderer Freund des Mossad war. Bei der Operation Hannibal jedoch gab es einen Verbindungsmann für den BND, der rekrutiert worden war und der nebenbei noch schmutzige Geschäfte über den Ex-Mossad-Offizier Mike Harari mit dem Staatschef von Panama, General Manuel Noriega, machte.

Bei dieser Operation wurden die Flugzeugteile (von Elektronikteilen für den Bordradar bis hin zu kompletten Motoren und zerlegten Flügeln) über Land transportiert, damit sie auch wirklich den Bestimmungsort erreichten beziehungsweise um die Herkunftsquelle zu verschleiern, falls sie vor der Auslieferung abgefangen wurden.

Zuerst wurden die Teile im Hafen von Ashdod in speziellen Containern auf israelische Schiffe verladen. Die Container waren so konstruiert, daß sie direkt vom Schiff auf die wartenden LKWs gehoben werden konnten und Teil des LKW wurden. Die Schiffe liefen verschiedene italienische Häfen an, wo der italienische Geheimdienst (SISMI) alle notwendigen Papiere beschaffte, die bezeugten, daß es sich um italienische Agrarprodukte handelte, die für Deutschland bestimmt waren. Zu diesem Zweck wurden auch die LKWs mit Werbetafeln italienischer Produkte versehen.

Die Leute für diese Operation und die Fahrer wurden von den italienischen Verbündeten des Mossad gestellt, den rechtsgerichteten Anhängern eines Mannes namens Licio Gelli und seiner inzwischen verbotenen Geheimloge mit dem Namen Propaganda Due sowie einer zweiten Gruppe namens Gladio (eine NATO-Gründung ähnlich der in Belgien).

Die Fahrer brachten ihre Wagen in ein Lagerhallengebiet in Hamburg, wo sie von neuen Fahrern übernommen wurden, diesmal von Israelis. Der Mossad nannte diese Fahrer OMI, die Abkürzung von Oved Mekomy, was »ortsansässiger Arbeiter« heißt. Um ein OMI zu werden, muß man als Student auf eigene Kosten in das betreffende Land gekommen sein, und man muß wirklich ein Studium aufnehmen.

Die Studenten wenden sich dann an die israelische Botschaft, um nach Arbeit zu fragen, und wenn der Mossad gerade Leute braucht, werden sie vom Shaback [bzw. Shin Bet, Israels interner Sicherheitsdienst] einem Sicherheitscheck unterworfen. Wenn alles in Ordnung ist, können sie eingestellt werden, um untergeordnete Tätigkeiten zu erledigen. Sie arbeiten als Fahrer oder werden als Bewohner von sicheren Häusern eingesetzt.

Von Hamburg aus fuhren die LKWs zu einem ehemaligen Flughafen, zwanzig Minuten von Kiel entfernt [Flugplatz Hartenholm, der in den 1980er-Jahren von iranischen Geschäftsleuten übernommen und betrieben wurde]. Ein Iraner, der in den USA studiert und seinen Flugzeugingenieur gemacht hatte, kam dann aus Kiel angereist und inspizierte die Ladung.

Wurde die Lieferung für gut befunden, wurde die Hälfte des Geldes in bar auf dem Flughafen übergeben. Die zweite Hälfte wurde fällig, sobald die Lieferung im Iran angekommen war. Die ganze Operation wurde in Kooperation zwischen BND-Leuten auf mittlerer Ebene und dem Mossad-Verbindungsmann in Bonn durchgeführt.

Zur Geschichte des Ganzen muß noch erwähnt werden, daß Helmut Kohl einer Kooperation mit dem Mossad zur Bekämpfung des Terrorismus einst zugestimmt hatte, weshalb die BND-Oberen dem Mossad erlaubten, ihren Stationen im Ausland unter die Arme zu greifen, und es als große Freundschaftsgeste betrachteten, wenn der Mossad Seminare über Terrorismus abhielt (die den BND-Leuten als Gästen des israelischen Geheimdienstes in Israel kostenlos geboten wurden).

Die BND-Bosse wußten allerdings nicht, daß diese Seminare, die der Mossad in der angenehmen Umgebung eines Country Clubs abhielt, in Wirklichkeit gut geschmierte Rekrutierungs-Operationen waren, die dem Mossad Hunderte, wenn nicht Tausende von Staatsdienern aus den Vereinigten Staaten, wo sie vom Bnai Brith [einer jüdischen Loge] rekrutiert wurden, oder aus den Geheimdiensten Dänemarks, Schwedens und vieler anderer Länder Europas einbrachten.

Im Geheimdienstbereich zählt vor allem die Fähigkeit zu beweisen, daß es einem gelungen ist, einen terroristischen Angriff abzuwehren. Mit dieser Verheißung manipulierte der Mossad die mittleren Chargen des BND zur Kooperation, indem man sie wissen ließ, daß ihre Bosse zwar einverstanden wären, aber die Operation nicht offiziell billigen könnten. Auch die Tatsache, daß der Mossad die rückhaltlose Unterstützung der örtlichen Dienststellen des Verfassungsschutzes hatte, war hilfreich, um die BND-Leute zu überzeugen.

Die Transporte gingen reibungslos vonstatten, und lange Zeit gab es keine Probleme. Von Deutschland fuhren die LKWs weiter nach Dänemark, wo sie unter den wachsamen Blicken des dänischen Geheimdienstes und ihres Verbindungsmannes zum Mossad, Paul Hensen Mozeh, auf dänische Schiffe verladen wurden. Von dort ging die Fracht in den Iran.

Irgendwann fragten die Iraner ihren BND-Verbindungsmann, was man tun könnte, um iranische Piloten auszubilden, am liebsten außerhalb des Kriegsgebietes. Mit dieser Frage wandte sich der BND-Mann an den Mossad-Kontakt.

Zuerst kam der Vorschlag auf den Tisch, das Training in Südamerika durchzuführen, entweder in Chile oder in Kolumbien, wo der Mossad sowohl die notwendigen Flugfelder als auch die Genehmigung für solche Operationen erhalten könnte. Aber die Nachbarschaft zu amerikanischen Aktivitäten in jener Hemisphäre ließ den Mossad umdenken.

Nachdem der Mossad und der BND Experten der israelischen Luftwaffe zu Rate gezogen und von den Iranern weitere Informationen erhalten hatte, etwa über den Ausbildungsstand ihrer Piloten, entschloß man sich, daß der größte Teil der Ausbildung an Simulatoren und deshalb in Deutschland stattfinden könnte.

Es wurde vorgeschlagen, daß derselbe Flugplatz mit seinen großen verlassenen Hangars, der für die Kontrolle der Ersatzteile benutzt wurde, auch dafür dienen könnte, die fünf Simulatoren mitsamt dem notwendigen Material aufzunehmen. Die Iraner mußten die Simulatoren kaufen und auch die gesamte Installation sowie alle sonstigen Ausgaben bezahlen und natürlich auch für das eigentliche Training finanziell aufkommen.

Man kam zu dem Schluß, daß ein Team von zumindest zwanzig Israelis bereitstehen müßte, um die iranischen Piloten auszubilden und zu trainieren. Die Israelis sollten getrennt in Kiel und Hamburg leben, während die iranischen Piloten (die, wie die Deutschen fürchteten, Aufmerksamkeit wecken könnten) auf dem Flughafen untergebracht werden sollten.

Die Barschel-Affäre

Der BND-Kontaktmann arbeitete jetzt direkt mit dem Mossad-Verbindungsmann in Bonn zusammen, der seine Informationen an die geheime Mossad-Station in der Bonner Botschaft weiterleitete. Die Deutschen sagten, daß zur Sicherheit und für den glatten Verlauf der Operation der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein in das Geheimnis eingeweiht werden müßte. Sein Name war Uwe Barschel, er zählte zu den engen Freunden von Helmut Kohl.

Um sich seine Unterstützung zu sichern, kam man überein, daß der BND seinen Einfluß geltend machen würde, um Bundesgelder für eine krisengeschüttelte Kieler Werft locker­zumachen, wofür Barschel dann die Lorbeeren einheimsen könnte. Außerdem ging es um einen großen inter­na­tionalen Flughafen in der Region. Und man versprach noch verschiedene andere Dinge, die weder für den Mossad noch für [Mossad-Offizier] Ran von Interesse waren, der jetzt die Operation leitete.

Als ich den Mossad verließ, war das Training der Piloten voll im Gange. Außer den Simulatoren gab es noch einige umgebaute Cessnas, an denen die Piloten auf einem anderen Flugfeld, fünfundvierzig Minuten von Kiel entfernt, ausgebildet wurden. Ich kann mich noch gut entsinnen, wie Ran damals zum Star aufstieg. (…)

Ran stellte irgendwann im März 1987 fest, daß am Horizont Gewitterwolken aufzogen. Es gab im Mossad und bei den rechten Elementen in der Regierung zunehmende Unzufriedenheit über das Verhalten von Kanzler Helmut Kohl, der direkten israelischen Warnungen bezüglich seiner Beziehung zum österreichischen Politiker [und ehemaligen UNO-Generalsekretär] Kurt Waldheim, den man als Nazi gebrandmarkt hatte, trotzte.

(Die »Brandmarkung« war von einer Mossad-Einheit vorbereitet worden, die in das UNO-Gebäude an der Park Avenue in New York eingedrungen war und verschiedene belastende Dokumente, die anderen Akten entnommen worden waren, in die Akten von Waldheim und einiger anderer Personen geschmuggelt hatte. Die gefälschten Dokumente wurden dann von dem israelischen Botschafter bei der UNO, Benjamin Netanyahu, »entdeckt«. Das war Teil einer Diffamierungs­kampagne gegen Waldheim, der den israelischen Aktivitäten im südlichen Libanon kritisch gegenüberstand.)

Kohl wischte die israelischen Drohungen als Nonsens beiseite und verursachte damit Wutausbrüche in israelischen Geheimdienstkreisen, wo er als “Klutz” mit einem großen Maul und schlechter Kinderstube beschimpft wurde.

Sorge bereitete der Mossad-Führung auch eine plötzliche politische Krise in Dänemark. Der dänische Geheimdienst bekam kalte Füße und bat darum, die Waffenlieferungen über Dänemark zeitweilig zu stoppen, bis man wüßte, wie sich die neue politische Situation im Land gestalten würde.

Der BND fragte nun bei Uwe Barschel um Erlaubnis an, die Häfen in Schleswig-Holstein für die Überführung der Waffen in den Iran benutzen zu dürfen. Barschel lehnte ab. Der Mossad hatte es nicht für notwendig erachtet, Barschel deswegen anzugehen. Der BND wußte allerdings nicht, daß der Mossad sich schon die Kooperation des Verfassungs­schutzes gesichert hatte. Deshalb kam es dazu, daß der BND an Barschel herantrat und ihm einiges mehr erzählte, als nötig war.

Doch der BND hatte Barschels Festigkeit in dieser Angelegenheit falsch eingeschätzt. Als Barschel ablehnte, gerieten alle in Panik. Sie erkannten, daß Barschel für sie zu einer Bedrohung werden könnte, wenn er sich dazu entschließen würde, Helmut Kohl über all diese Vorgänge zu informieren.

Es war sehr verführerisch, mehrere Fliegen mit einem Schlag erledigen zu können: Der Mossad hätte das Sagen bei der Kontrolle des neuen Politikers und könnte den BND als Partner einführen. Man könnte einen Störenfried, nämlich Barschel, eliminieren, der zwar kooperierte, aber nicht aus den richtigen Gründen. Er war nicht wirklich “gekauft”, wie es der Mossad bei seinen Politikern gerne hatte, sondern er nutzte die Situation nach Kräften, um, wie er meinte, das Beste für seine Wählerschaft rauszuholen, und gleichzeitig sicherte er seine politische Basis ab. Seine Beseitigung würde auch ein Schlag für Helmut Kohl sein, der gerade eine Wahl gewonnen hatte und sich deshalb nun noch unangenehmer aufführen würde als in der Vergangenheit.

Ran begann also Verbindungen zur Oppositionspartei [der SPD] zu knüpfen und kam in engen Kontakt mit einem ihrer Führer [Björn Engholm]. Er fühlte ihm auf den Zahn, ob er, für den Fall, daß er die Wahl gewänne, zur Mitarbeit mit denen, die ihm geholfen hätten, bereit wäre und sich erkenntlich zeigen würde. Jenem Oppositions­politiker wurde bedeutet, daß der BND hinter ihnen stehe und alles im besten Interesse Deutschlands geschehe.

Die Antwort übertraf alle Erwartungen Rans: Der Oppositionspolitiker, der keine Chance sah, die Wahl zu gewinnen, war zu jedem Versprechen bereit. Nachdem Ran diesen Politiker sicher in der Tasche hatte, was ihn eine neue Pfeife und etwas Tabak kostete, war es an der Zeit, Barschel aus der politischen Arena zu werfen.

Yoel, ein Einsatzoffizier von der Bonner Station, wurde zu dieser Operation herangezogen. Ihm wurde die Aufgabe übertragen, als Kanadier mit deutschen Vorfahren aufzutreten, der sehr reich sei und nach Deutschland zurückkehren wolle. Bevor er den entscheidenden Schritt machte, plante dieser Kanadier angeblich, in Deutschland ein neues Unternehmen zu starten und mit dem politischen Establishment bekannt zu werden, damit er seine Firma optimal aufziehen und den größtmöglichen Vorteil aus seiner Rückkehr ziehen könnte.

Ein politischer Apparatschik in Barschels Partei [Reiner Pfeiffer], der von Ran und Yoel den Spitznamen »Whistler« (englisch: »to whistle« = pfeifen) erhielt, wurde ihr Zielobjekt. Ran lieferte der Mossad-Liaison eine Liste mit allen Leuten, die mit Barschel zusammen­arbeiteten und direkten Kontakt zu ihm hatten. Die Namen sollten durch die Polizei­computer in Kiel und Hamburg gejagt werden, um herauszufinden, ob über irgendeinen von ihnen etwas Nachteiliges bekannt war. Der Name von »Whistler« hatte einen dunklen Fleck. Es stellte sich heraus, daß er der Mißhandlung einer Hamburger Prostituierten beschuldigt worden war, aber da es jemandem gelang, den Zuhälter auszuzahlen, wurde die Akte ohne förmliche Anklage geschlossen.

Yoel wurde »Whistler« durch einen Sayan [ein ziviler Mossad-Agent] vorgestellt, der »Whistler« laut seiner Mossad-Akte kannte. Nach einigen Schmeicheleien sagte Yoel zu »Whistler«, daß er nach Kanada zurückkehren müsse, und machte ihn mit Ran bekannt, der seinen Geschäftsberater in Deutschland mimte. Falls »Whistler« in seiner Abwesenheit irgend etwas benötige, könne er sich an Ran wenden, der autorisiert sei, ihm zu helfen.

Einige Tage nach Yoels angeblicher Abreise rief Ran »Whistler« an und verabredete ein Treffen, in dessen Verlauf er ihm klarmachte, daß er »Whistlers« politische Richtung nicht schätze, sondern die Opposition unterstütze. Ran erklärte ihm außerdem, daß er verpflichtet sei, Yoels Interessen nach bestem Wissen zu vertreten, weshalb er auf eigene Faust eine kleine Untersuchung vorgenommen habe.

Dabei sei er auf den Zwischenfall mit der Prostituierten gestoßen, was bedeute, daß »Whistlers« politische Karriere beendet sein dürfte, falls diese Tatsache an die Öffentlichkeit käme, und obendrein wären Yoels Investitionen auch verloren. Er schlug ihm dann vor, daß er ihm beim Sturz Barschels helfen solle. Ran war überrascht, mit welcher Begeisterung »Whistler« diesem Vorschlag zustimmte. »Whistler« sagte klipp und klar, daß er kein Fan von Barschel sei und alles tun würde, um ihn dranzukriegen.

Ran, der schon einen fertigen Plan in der Tasche hatte, um Barschel abzusägen, ging die einzelnen Schritte mit dem Mann, den er gerade rekrutiert hatte, bedächtig durch, um ihm das Gefühl zu geben, dieser wäre an dem Planungsprozeß beteiligt. Auch sollte ihm das Gefühl von eigener Wichtigkeit eingeflößt werden, unter anderem für den Fall, daß ihm die Schuld zugeschoben werden mußte, falls etwas schiefging.

Ihm wurde darüber hinaus gesagt, daß man sich finanziell großzügig um ihn kümmern werde, falls diese Operation seine politische Zukunft gefährde. Ran gab »Whistler« zu verstehen, daß er zu einer Organisation nach Art der Mafia gehöre und daß es ausgeschlossen sei, daß er seine Meinung ändere oder Geschehenes ungeschehen machen könne. Auch dürfe er über Ran kein einziges Wort verlieren.

Während dieser ganzen Zeit fütterte der Mossad den Verfassungsschutz des Bundes­landes mit falschen Informationen über Barschels angebliche geheime Waffen­geschäfte und sonstige illegale Transaktionen, an denen sein Bruder beteiligt sei, quasi als Strohmann Barschels.

Der Plan wurde von [Mossad-Offizier] Mousa gutgeheißen, der für Operationssicherheit in Europa zuständig war und damals auch als Chef für Europa fungierte. Bei dieser ganzen Sache hielt man den BND draußen. Ran ließ »Whistler« [Pfeiffer] falsche, aber sehr schädigende Informationen über die Führer der Opposition im allgemeinen und den Spitzenmann der Opposition [Engholm] im besonderen in der örtlichen Presse verbreiten, ohne die Quelle der Gerüchte verlauten zu lassen.

Als die Wahlen näher rückten, wurden Mossad-Leute aus Belgien ins Land gebracht, um als Privatdetektive aufzutreten, die anzuheuern Ran »Whistler« empfohlen hatte. Sie agierten höchst auffallend, fuhren bei ihrer Überwachung teure Autos und sammelten auf sehr amateurhafte Weise Material über den Oppositionsführer, wodurch sie natürlich die Aufmerksamkeit auf sich lenkten.

Die Sache wurde so durchgezogen, daß höchstens ein Reporter der »Braille Times« [d.h. ein Blinder] nicht in der Lage gewesen wäre, es als das zu erkennen, was es war: eine Schmutzkampagne.

In der letzten Minute, als Dementis von Barschel zu spät gewesen wären, um noch den Wahlausgang zu beeinflussen, gab »Whistler« zu, daß er hinter den schmutzigen Tricks stecken würde. Er gab an, daß er dazu von Barschel beauftragt worden sei, wodurch er endgültig die Karriere eines Politikers beendete, der sich nicht kooperativ zeigte, und einen Mann ans Ruder brachte, der dazu bereit war. Außerdem wurde Kohl dadurch in arge Bedrängnis gebracht. Alle Proteste Barschels, daß er unschuldig sei, wurden als politische Rhetorik beiseite gewischt. (…)

Bild: Uwe Barschel gibt auf einer Pressekonferenz am 18. September 1987 in Kiel sein “Ehrenwort”, nichts über die Kampagne gegen SPD-Politiker Björn Engholm gewusst zu haben. (DPA)

Ehrenwort: Uwe Barschel auf einer Pressekonferenz am 18. September 1987 in Kiel (DPA)
Der Mord an Uwe Barschel

Nach seiner Niederlage bei den Wahlen (eine direkte Folge der Kampagne, die Ran organisiert hatte) kontaktierte Barschel seine BND-Verbindung. Er drohte, das Fehlverhalten des BND in vollem Umfang offenzulegen, wenn der BND nicht alles tun würde, um seinen Namen reinzuwaschen. Der BND, der seine Informationen vom Verfassungs­schutz bezog – die dieser vom Mossad erhalten hatte –, zweifelte nicht daran, daß Barschel Dreck am Stecken hatte, und bat den Mossad um Hilfe.

Der Grund, warum der BND den Mossad benutzen mußte, um mit dieser Situation fertig zu werden, bestand darin, daß sich die Drohung Barschels gegen die mittleren Chargen des BND richtete. Diese hielten entgegen den direkten Befehlen ihrer Vorgesetzten Kontakt mit dem Mossad. Der BND konnte sich also nicht mit einem Hilfegesuch an seine eigenen Leute wenden.

Der BND-Kontaktmann sagte dem Mossad-Verbindungsoffizier, daß innerhalb weniger Tage einige Anhörungen stattfinden würden, und würde Barschel vorher nicht Genüge getan, so würde er auspacken. Der Zeitrahmen war zu knapp für den Mossad, um die Operation auf den beiden Flugfeldern abzubrechen und die israelischen Mannschaften mitsamt ihrem Material rechtzeitig herauszuholen. Barschel mußte gestoppt werden, bevor er als Zeuge aussagen konnte.

Der BND gab dem Mossad-Verbindungsmann Barschels Aufenthaltsort (er befand sich im Urlaub auf den Kanarischen Inseln) und die Telefonnummer, unter der er zu erreichen war. Er wohnte in einem Haus, das ihm ein Freund zur Verfügung gestellt hatte.

Ran rief Barschel an. Beim ersten Anruf meldete sich niemand. Eine Stunde später versuchte er es wieder, und jemand antwortete, daß Barschel im Moment nicht erreichbar sei. Beim dritten Versuch hatte er Barschel am Apparat und sagte ihm, daß er Informationen besitze, die helfen könnten, seinen Namen reinzuwaschen. Er stellte sich als Robert Oleff vor [später oft “Robert Roloff”].

Er bestand darauf, daß Barschel nach Genf kommen solle. Er, Oleff, werde ihn am Flughafen abholen. Barschel verlangte mehr Informationen, bevor er sich festlegte, und Ran sagte, daß vielleicht einige interessante Iraner anwesend sein würden, die in das Geschäft verwickelt seien. Das machte Barschel glauben, daß die Angelegenheit seriös war. Der Mann am Telefon zeigte sich gut informiert, Barschel war einverstanden, und sie legten die Details der Reise fest.

Das Kidon-Team [Mossad-Attentätereinheit], das direkt von Brüssel geschickt worden war, wartete bereits in Genf. Nachdem es die Lage in Genf genau untersucht hatte, kam es zu dem Ergebnis, daß das Hotel Beau-Rivage am besten seinen Zwecken dienen würde. Ein Stück weiter gab es eine riesige Baustelle. So etwas war immer gut, um das, was man in der Eile loswerden wollte, verschwinden zu lassen. Zwei Einsatz-Paare quartierten sich im Hotel ein: das eine im vierten Stock, nahe beim Ausgang zum Dach, und das andere, das am selben Tag wie Barschel ankam, im dritten Stock neben dem Zimmer, das Ran für Barschel reserviert hatte.

Die übrigen Leute des Teams deckten das Umfeld ab und hielten sich in der Nähe auf, um nötigenfalls eingreifen zu können. Ran traf Barschel in dessen Zimmer am Nachmittag des 10. Oktober [1987]. Nachdem er eine Flasche Wein für den von ihm mitgebrachten Käse bestellt hatte, machte er Barschel zuerst ein Angebot. Barschel sollte überredet werden, seinen Sturz zu akzeptieren.

Ran versprach ihm, daß man ihn großzügig entschädigen werde. Er versuchte ihm zu suggerieren, daß das, was er angeblich getan habe, im Bereich der Politik keine so große Sache darstelle und daß es besser für ihn sei, die Dinge laufen zu lassen und das Geld zu nehmen. Ran benutzte den üblichen Satz, den der Mossad so liebte, daß Geld keine Rolle spiele.

Barschel war sehr ungehalten. Er bestand darauf, daß Ran ihm die Beweise liefere, die seinen Namen reinwaschen könnten, oder zu verschwinden. Er war nicht daran interessiert, einen Profit aus der Sache zu schlagen, sondern er wollte es allen zeigen, die ihn verleumdet hatten.

Da wurde Ran klar, daß es keine Möglichkeit gab, den Mann umzustimmen. Die Operation mußte in ihre zweite Phase treten, was die Beseitigung dieses Mannes bedeutete. Er war jetzt zu einer Gefahr für die Sicherheit der beteiligten Mossad-Leute geworden. Es gab aus diesem Grund keine Notwendigkeit, die Zustimmung zu seiner Eliminierung außerhalb des Mossad einzuholen. Das wäre bei einer Exekution aus politischen Gründen der Fall gewesen; hier hätte der Premierminister seine Zustimmung geben müssen.

Ran wollte jedoch das Einverständnis des Mossad-Chefs [Nahum Admoni] haben, den man ständig auf dem laufenden hielt und der am selben Tag wie Barschel nach Genf gekommen war. Er wohnte im Hotel Des Bergues am Ende derselben Straße, in der Barschel untergebracht war. Er hatte sich unter den Namen P. Marshon eingetragen.

Bis der Wein in Barscheis Zimmer ankam, war er schon von einem Kidon-Mitglied präpariert worden, entweder in der Küche oder auf dem Weg nach oben. Andere Team-Mitglieder schafften in Vorbereitung auf den letzten Akt Eisbeutel auf ihre Zimmer. Ran erzählte Barschel, daß es nur seine Absicht gewesen sei, seine Standfestigkeit zu prüfen. Da er es offenbar mit einem ehrenwerten Mann zu tun habe, wolle er ihm helfen. Barschel war immer noch aufgebracht und weigerte sich weiterzureden, wenn Ran ihm nicht sofort einen Beweis liefern würde, daß er wirklich seinen Namen reinwaschen könnte.

Ran rief den Mossad-Verbindungsmann an, der in einem sicheren Haus wartete. Er bat ihn, seinen BND-Kontaktmann anzurufen, der Barschel in seinem Hotelzimmer zurückrufen solle, um ihm zu sagen, daß alles gutgehen würde. Der Verbindungsmann war darauf vorbereitet, er hatte mit Ran im Vorfeld alle Optionen abgesprochen. Der BND-Mann stand in Wartestellung bereit; er war schon im voraus angerufen worden — unter dem Vorwand, etwas Wichtiges würde sich tun.

Einige Minuten später rief der BND-Mann Barschel an und sagte ihm, daß man die Dinge zurechtrücken werde. Barschel entspannte sich und trank von dem Wein. Ran täuschte Magenbeschwerden vor und lehnte ab; er nahm nur etwas von seinem Käse zu sich.

Ran wußte, daß Barschel in etwa einer Stunde ohnmächtig werden würde, und wollte die direkte Zustimmung des Mossad-Chefs, um den Job zu beenden. Er sagte Barschel, daß er einige Papiere holen wolle, die ihn entlasten würden, und daß er in einer Stunde wieder da sei.

Ran traf den Mossad-Chef in dessen Hotelzimmer. Er gab ihm eine kurze Zusammen­fassung des Vorgefallenen und sagte, daß Barschel innerhalb weniger Tage vor einem Untersuchungs­ausschuß aussagen werde, der Behauptungen über Unregel­mäßig­keiten im Vorfeld der Wahlen prüfen solle. Es gebe keine Möglichkeit, Barschel davon abzubringen, vor diesem Gremium alles auszusagen, was er wußte. Ran konnte nicht garantieren, daß alle Beweisstücke, die Israel belasteten, in der kurzen verbliebenen Zeit von den Flugfeldern beseitigt wären. Das Risiko einer Entlarvung war für den Mossad hier viel zu groß, und deswegen gab der Mossad-Chef sein Einverständnis, den Mann zu eliminieren.

Ran rief das Mossad-Paar im vierten Stock von Barschels Hotel an und gab ihnen grünes Licht für die Operation. Sie warteten die Zeit ab, bis Barschel von dem Mittel im Wein eingeschlafen war. Sie riefen außerdem noch bei ihm an, um sicherzugehen, daß er nicht wach war. Dann drangen sie in sein Zimmer ein.

Barschel lag auf dem Boden rechts neben dem Bett. Er war offenbar ohnmächtig geworden und aus dem Bett gefallen. Das Team zog ein Plastiktuch über das Bett und legte den Bewußtlosen darauf, mit den Beinen zum Kopfende, damit die nächsten Schritte einfacher wären. Ein zusammengerolltes Handtuch wurde ihm unter den Nacken gelegt, als ob er eine Mund-zu-Mund-Beatmung bekommen sollte.

Fünf Leute befanden sich zu dem Zeitpunkt im Raum. Vier kümmerten sich um das Opfer, und einer füllte die Badewanne mit Wasser und Eis; das Geräusch würde jedes andere übertönen. Ein langer, gut geölter Gummischlauch wurde dem schlafenden Mann in den Hals geschoben, langsam und vorsichtig, um ihn nicht zu ersticken. Einer schob den Schlauch, während ihn die anderen Männer für den Fall einer plötzlichen Konvulsion festhielten. Sie alle hatten so etwas schon vorher gemacht.

Sobald der Schlauch den Magen erreicht hatte, brachten sie am oberen Schlauchende einen kleinen Trichter an, durch den sie nun verschiedene Pillen einführten, dazu ab und zu etwas Wasser, damit sie auch tatsächlich den Magen erreichten.

Danach wurden dem Mann die Hosen heruntergezogen. Zwei Männer hielten seine Beine hoch, und ein Dritter führte ihm rektal Zäpfchen mit einem starken Sedativ und einem fieber­erzeugenden Mittel ein. Die Hosen wurden ihm wieder hochgezogen, und die Leute warteten auf die Wirkung der Medikamente; sie legten ihm ein Thermometer auf die Stirn, um seine Temperatur zu beobachten.

Nach einer Stunde hatte er hohes Fieber bekommen. Er wurde dann in das Eisbad gelegt. Der Schock rief starke Körperzuckungen hervor. Der plötzliche Temperaturwechsel im Verein mit der Wirkung der Medikamente erzeugte so etwas, was wie eine Herzattacke aussah. Nach ein paar Minuten stellte das Team fest, daß er wirklich tot war, und begann das Zimmer aufzuräumen, um keine Spuren zu hinterlassen.

Sie merkten, daß sie den Fehler gemacht hatten, dem Mann nicht die Kleider auszuziehen, bevor sie ihn in die Wanne legten. Aber es war zu spät, das noch zu ändern. Sie merkten auch, daß die Ersatzweinflasche, die sie mitgebracht hatten, zwar ein Beaujolais war, aber nicht die richtige Marke, so daß sie keine Flasche hatten, um sie dazulassen.

Die Lage war gespannt. Sie hatten mehrere Stunden in dem Raum zugebracht, und einige von ihnen waren mehrmals hinausgegangen und wiedergekommen. Daß sie neben einer toten oder sterbenden Person Wache hielten, wäre wohl kaum zu erklären gewesen.

Nachdem sie das Zimmer verlassen und das Schild »Bitte nicht stören« angebracht hatten, ging jeder seiner Wege. Zwei Leute verließen das Hotel noch am selben Abend, das zweite Paar erst am folgenden Morgen. Die übrigen Mitglieder des Teams hatten die Stadt schon in derselben Nacht mit dem Wagen verlassen und fuhren zurück nach Belgien in die Sicherheit des Mossad-Hauptquartiers in Europa.

Ran wurde informiert, daß die Mission erfüllt war, ebenso der Mossad-Chef, dem ein Team-Mitglied ein Polaroidfoto von dem Toten brachte.”

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Referenzen

Bücher

Videos

Medienberichte

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Siehe auch

Dokumentationen


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