
Publiziert: August 2023
Wie die CIA den Axel Springer Verlag mit umgerechnet 80 Millionen Dollar aufbaute.
Einleitung
Im Juni 1982 veröffentlichte das amerikanische Wochenmagazin The Nation einen Bericht des Journalisten Murray Waas, in dem erstmals beschrieben wurde, wie der deutsche Medienkonzern Axel Springer in den 1950er-Jahren von der CIA mit damals rund sieben Millionen bzw. heute 80 Millionen Dollar aufgebaut wurde, um “den geopolitischen Interessen Amerikas zu dienen”.
Waas berief sich dabei auf vier Quellen, darunter zwei ehemalige Geheimdienst-Mitarbeiter, sowie auf dokumentarische Belege. Laut diesen Informationen bestand Springers Verbindung zur CIA bis mindestens in die frühen 1970er-Jahre hinein (d.h. bis zum Church Committee von 1975), doch es gebe “keinen Grund anzunehmen, dass die Beziehung irgendwann beendet worden ist.”
Springer antwortete mit einem über-spezifischen Dementi (siehe unten) – die Gelder kamen kaum direkt von der CIA oder der US-Regierung –, leitete jedoch keine rechtlichen Schritte ein.
Die verpflichtenden Unternehmensgrundsätze des Axel Springer Verlags verlangen von Journalisten bis heute eine “Unterstützung des transatlantischen Bündnisses” (alt) bzw. “die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika” (seit 2017).
Generell gehen die meisten deutschen Medienkonzerne auf alliierte Lizenzen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Verschiedene deutschsprachige Journalisten arbeiteten zudem im Auftrag der CIA, darunter auch Otto Schulmeister, der ehemalige Herausgeber der österreichischen Presse. In der Schweiz ist Axel Springer durch eine Kooperation mit dem Medienhaus Ringier präsent.
Es folgt eine deutsche Übersetzung des Berichts aus The Nation. Das archivierte englische Original findet sich als PDF im SPR-Medienarchiv sowie eingebettet im Anschluss an die Übersetzung.
Geheimer Auftrag
Murray Waas, The Nation, 19. Juni 1982, Seite 738
“Der Besuch von Präsident Reagan in Europa in der vergangenen Woche hat neue Aufmerksamkeit auf unsere europäischen Verbündeten gelenkt sowie auf die Art und Weise, in der sie gebeten werden, den Zielen Amerikas und des atlantischen Bündnisses zu dienen. Dies ist ein Thema, das heute mehr denn je ernsthafte Betrachtung verdient, doch es wäre wichtig, wenn dazu alle Tatsachen bekannt sind. Eine dieser Tatsachen, die viel über Amerikas traditionelle, aber verborgene Beziehung zu Europa verrät, ist nun ans Licht gekommen.
Nach verlässlichen Informationen aus dem Geheimdienstbereich der USA hat der CIA in den frühen fünfziger Jahren etwa sieben Millionen Dollar an den westdeutschen Pressezaren Axel Springer fließen lassen, um ihm beim Aufbau seines gewaltigen Medienimperiums behilflich zu sein und den geopolitischen Interessen Amerikas zu dienen. Springers Verbindung mit dem CIA, so die Informationen, bestand mindestens bis in die frühen siebziger Jahre hinein, und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Beziehung irgendwann beendet worden ist. (*)
(* Auf Anfrage von The Nation bestritt ein Springer-Mitarbeiter, dass je eine Verbindung zwischen Springer und dem CIA bestanden habe. Ein CIA-Sprecher sagte, es gehöre nicht zu den Gepflogenheiten des CIA, zu irgendwelchen Vermutungen Stellung zu nehmen.)
Heute ist Springer Chef des größten Medienkonzerns in Westeuropa – einzigartig sowohl was seine Größe als auch seinen Einfluss in Nachkriegsdeutschland angeht. Neben zwei Radio- und Fernsehzeitschriften, zwei Sonntagsblättern und dem großen Ullstein-Verlag gehört ihm auch die Bild-Zeitung, eine Tageszeitung mit elf Millionen Lesern, die bekannt ist für ihre Sensationsberichterstattung, ihre äußerst rechten Tiraden und ihre Storys über Sex und Gewalt. Daneben gehört ihm Die Welt, eine angesehene konservative Tageszeitung. Rudolf Augstein, Herausgeber des Spiegel, schrieb 1966: »Kein einzelner Mann in Deutschland vor oder nach Hitler, ausgenommen vielleicht Bismarck oder die beiden Kaiser, hatte so viel Macht wie Springer.«
Nach Informationen aus Geheimdienstkreisen wurden die geheimen Finanzzuwendungen an Springer und andere deutsche Journalisten nach dem Krieg gerechtfertigt als eine Möglichkeit, neonazistischen und rechtsgerichteten Elementen in Deutschland entgegenzuwirken. Zu jener Zeit galt Springer als ein liberaler, internationalistischer Verleger, der für nukleare Abrüstung und Entspannung mit der Sowjetunion eintrat. Ein ehemaliger hochrangiger CIA-Offizier, der die geheimen Geldzuwendungen nach wie vor verteidigt, drückt das so aus: »Man muss das im Zusammenhang sehen. Springer war damals ein Liberaler, und wir wollten Nazis und andere Rechtskräfte im Lande bekämpfen. Wir wollten dem deutschen Volk ganz einfach amerikanische Werte und demokratische Grundsätze beibringen.«
Aber in den späten fünfziger Jahren begann Springers politische Philosophie sich zu ändern, und seine Zeitungen standen bald im Ruf, seine militanten nationalistischen und antikommunistischen Auffassungen wiederzugeben. Wie man hört, wurde Springer ein noch härterer Konservativer nach einer Moskau-Reise im Jahre 1958, während der er vergeblich versuchte, den sowjetischen Premier Nikita Chruschtschow zur Aufnahme von Gesprächen über die Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland zu bewegen. Darüber hinaus lässt ein ehemaliger CIA-Offizier durchblicken, dass Springer in dem Maße, wie er an Macht und Einfluss gewann, ganz einfach seine Auffassungen geändert und sich den anderen Reichen und Mächtigen in Deutschland angepasst habe.
Wie dem auch sei, in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre hatte Springer den Höhepunkt seiner Macht erreicht und sich seine äußerst konservativen Ansichten zu eigen gemacht. Seine Tageszeitungen hatten eine Auflage, die 30 bis 40 Prozent der Gesamtauflage aller westdeutschen Tageszeitungen ausmachte, und seine Sonntagsblätter erreichten mehr als 80 Prozent der Leserschaft von Sonntagszeitungen. Damals startete er eine aggressive Leitartikel-Kampagne gegen die westdeutsche Linke und forderte ein hartes polizeiliches Vorgehen gegen Studenten-Demonstrationen. Nachdem im Juni 1967 in Berlin ein Student während einer Demonstration zu Tode gekommen war, wurde Springer von weiten Kreisen in der Bundesrepublik für die gewaltsamen Auseinandersetzungen verantwortlich gemacht. Im Frühjahr 1968 demonstrierten westdeutsche Studenten in Hamburg, Berlin und München gegen Springers Medienimperium und stürmten die Büroräume und Druckereien von einigen seiner Zeitungen.
Damals begann sich sogar bei Springers ursprünglichen Gönnern im CIA Besorgnis über seine feindselige Rhetorik und seinen Extremismus zu regen. Dazu ein ehemaliger hochrangiger Geheimdienst-Mitarbeiter: »Einige Leute im CIA hatten das Gefühl, dass wir wie Dr. Frankenstein handelten, dass das, was wir mitgeschaffen hatten, langfristig weder den amerikanischen noch den westdeutschen Interessen dienlich sei.« Aber man musste Springer gewähren lassen, denn, so ein anderer ehemaliger Geheimdienst-Mitarbeiter, »er war eine zu mächtige Persönlichkeit geworden, als dass wir ihm hätten sagen können, was er zu tun habe«. Tatsächlich war er so mächtig geworden, dass es für die Vereinigten Staaten weit peinlicher gewesen wäre als für Springer, wenn die geheime Operation enthüllt worden wäre.
Darüber hinaus, so der Geheimdienst-Mitarbeiter weiter, »waren es ja die Geheimdienstleute, die die Operation Springer durchgeführt hatten, und in Notfällen war er für gewöhnlich zur Zusammenarbeit bereit und ließ sich als Propaganda-Sprachrohr (propaganda asset) benutzen«. Nach Informationen aus Geheimdienstkreisen war einer dieser Fälle eingetreten, als der CIA Springer bat, sowjetische Pläne zum Bau von Ölleitungen durch Westdeutschland und Italien zu attackieren. »Der CIA war damals von dem Gedanken besessen, dass alles getan werden müsse, um eine Wiederannäherung zwischen der Sowjetunion und den westeuropäischen Ländern zu bekämpfen. Solange uns Springer dabei behilflich war, konnten wir über seine Fehltritte hinwegsehen.«
Alles in allem ist diese geheime Geschichte bezeichnend für das, was die Vereinigten Staaten von Pressefreiheit und dem Zusammenspiel politischer Vorstellungen in einer Demokratie halten. Sie ist nichts als ein weiteres Teilchen im Puzzlespiel des Kalten Krieges und unterstreicht die Wichtigkeit, darauf zu beharren, dass die gegenwärtige Regierung uns bestätigt, dass solche Praktiken – einschließlich der geheimen Finanzierung von Axel Springer – heute nicht mehr fortgeführt werden.”
(Übersetzung: Neuberger/Opperskalski, 10/2000; Verlinkungen: SPR)
Springers Antwort (The Nation, 3. Juli 1982)
“Springer bestreitet Vorwurf
“Covert Charge” von Murray Waas [The Nation, 19. Juni] behauptet, dass “die Central Intelligence Agency in den frühen 1950er Jahren heimlich etwa 7 Millionen Dollar an den westdeutschen Pressebaron Axel Springer überwiesen hat.” Wir stellen mit Nachdruck fest, dass weder Axel Springer persönlich noch sein Unternehmen jemals verdeckte oder offene Gelder von der C.I.A. oder einem anderen Geheimdienst oder einer Regierungsbehörde erhalten hat.
Christian Kracht, Axel Springer Gesellschaft
Murray Waas antwortet
Ich bleibe bei meiner Darstellung, die auf Interviews mit vier Quellen, von denen zwei ehemalige Geheimdienstmitarbeiter sind, und auf dokumentarischen Belegen beruht.
Murray Waas”
Original-Artikel als PDF
Quelle: Covert Charge (The Nation, 19. Juni 1982)