Ibiza: Ein geostrategischer Coup

Publiziert: Mai 2019
Aktualisiert: Dezember 2019

Die Ibiza-Affäre: Ein Coup gegen eine Moskau-freundliche und EU-kritische Regierungspartei. Eine Übersicht der geostrategischen und geheimdienstlichen Hintergründe.

Kooperationsabkommen zwischen der FPÖ und Einiges Russland. In der Mitte HC Strache, zweiter von rechts Johann Gudenus (Dezember 2016).

»Eine erfolgreiche Operation eines Nachrichten­dienstes, mit dem Resultat, dass eine Regierung eines Nachbar­staates der Schweiz nicht mehr existiert und eine Koalition zerbrochen ist.«

Jean-Philippe Gaudin, Chef des Schweizer Nachrichtendienstes, am 24. Mai 2019

Hinweis: Für alle gennanten Personen gilt die Unschuldsvermutung.

Achse Wien-Moskau

Mit Gudenus und Strache wurden die beiden Hauptarchitekten der Achse Wien-Moskau entfernt. Gudenus war 2014 als Wahlbeobachter auf der Krim und erteilte der russischen »Annexion« damit einen »Persilschein« (NZZ). Im Dezember 2016 fädelte er das Abkommen zwischen Straches FPÖ und Putins Partei »Einiges Russland« ein. Ein halbes Jahr später wurden die beiden durch eine angebliche russische Oligarchennichte in die Falle gelockt und schließlich zu Fall gebracht.

Strache forderte seit 2017 wiederholt den Austritt Österreichs aus der NATO-Partnerschaft sowie den Austritt Europas aus der NATO. »Die Alternative ist, unter amerikanischem geostra­te­gischem Kommando, das welche Interessen auch immer hat, dort einzuzahlen und die US-Militärindustrie zu finanzieren.«, so Strache 2017.

Österreich war denn auch eines der wenigen EU-Länder, das nach dem unaufgeklärten Skripal-Zwischenfall im März 2018 keine russischen Diplomaten des Landes verwies. Im November 2018 identifizierte der britische Geheimdienst jedoch einen Oberst der österreichischen Armee, der während bis zu 25 Jahren für Russland spionierte. Der Oberst wurde daraufhin verhaftet.

Ein NATO-Geheimdienstoffizier sagte daraufhin, die österreichische Regierung sei »ein Problem für alle«: »Österreich ist ein Problem für alle. Die aktuelle Regierung hat tiefe ideologische und ökonomische Beziehungen zum Putin-Regime. Aber man kann nach Skripal nicht mehr solides EU-Mitglied und gleichzeitig ein enger Freund von Putin sein.«

FPÖ-Spitzenkandidat Vilimsky, der sich 2014 noch gegen die Russland­sanktionen aussprach (»umgehend einstellen«), kündigte nach Ibiza an, das 2016 vereinbarte Koop­e­ra­tions­­abkommen zwischen der FPÖ und Einiges Russland auslaufen zu lassen. Er betonte, keine »Verstrickungen nach Russland« zu haben, und verwies auf seine guten Kontakte zum Pentagon.

Die Salzburger Nachrichten sprachen denn auch vom »Ende der “russischen” Fraktion in der FPÖ«, und der Kurier titelte noch im Oktober 2019 »Die FPÖ in der Russland-Falle«.

Bemerkenswert ist zudem, dass das österreichische Verteidigungsministerium am 21. Mai 2019, wenige Stunden nach dem Rücktritt der FPÖ-Minister, die Durchführung der seit langem geplanten russisch-europäischen Valdai-Diskussions­runde in Wien zum Thema »Multipolare Diplomatie« ganz kurzfristig absagte und den Saal sperrte.

Nach dem Rücktritt der FPÖ-Minister aus der Regierung blieb die parteifreie, aber von der FPÖ nominierte Außenministerin Karin Kneissl zunächst im Amt. Dies wurde von deutschen Medien wie Spiegel und BILD heftig kritisiert, da Kneissl ebenfalls als Russland-freundlich gilt und Präsident Putin im August 2018 zu ihrer Hochzeit einlud (»Putins Lieblingsministerin«). Erst durch den vollständigen Sturz der Regierung wurde auch Kneissl und damit alle Russland-freundlichen und EU-kritischen Minister aus der österreichischen Regierung entfernt.

Das russische Außenministerium verwies seinerseits auf die geopolitische Dimension der Ibiza-Affäre: »Aber die Hauptfrage bleibt offen: Wer hat so eine grobe Einmischung in das innenpolitische Leben Österreichs begangen und dabei die ‚unabhängige‘ deutsche Presse als Instrument eingesetzt?«, fragte Sprecherin Sacharowa gemäß Sputnik. Russland werde »die OSZE und weitere Organisationen über die Informationsoperation der deutschen Medien informieren«.

Der österreichische Geheimdienst BVT wurde bereits seit 2018 aufgrund der »Russland-Nähe« der FPÖ von allen europäischen Geheimdiensten isoliert. Dies nach einer Razzia durch den FPÖ-Innenminister Kickl im Februar 2018. Kickl wurde im Zuge der Ibiza-Affäre von Kanzler Kurz seinerseits zum Rücktritt gedrängt.

Kanzler Sebastian Kurz genießt als Mitglied des European Council on Foreign Relations (ECFR) den Rückhalt der transatlantischen Elite. Sein Sturz war vermutlich nicht geplant, und tatsächlich wurde Kurz im September bereits wieder zum Kanzler gewählt wird.

Interessant ist die Kommentierung der Ibiza-Affäre durch angelsächsische Medien: Das amerikanische Foreign Policy Magazine titelte »Europe Is Ripe for a Return to Establish­ment Politics«, der britische Economist »Why cosying up to populists rarely ends well for moderates«.

Sein erstes ausführliches Interview nach der Affäre gab Heinz-Christian Strache im August 2019 demonstrativ dem russischen TV-Sender RT Deutsch. Darin betonte er erneut seine Russland-freundliche Haltung, die ihm womöglich zum Verhängnis wurde.

Geheimdienst-Operation

Jean-Philippe Gaudin, der Chef des Schweizer Nachrichtendienstes NDB, sprach bereits im Mai von einer »erfolgreichen Operation eines Nachrichten­dienstes, mit dem Resultat, dass eine Regierung eines Nachbar­staates der Schweiz nicht mehr existiert und eine Koalition zerbrochen ist.«

Der österreichische Interims-Innenminister Wolfgang Peschorn schloss in einem Interview im August 2019 einen ausländischen Geheimdienst als Drahtzieher der Operation explizit nicht aus.

Tatsächlich hatte die private Sicherheitsgruppe, die die Ibiza-Operation unmittelbar durchführte, langjährige und enge Kontakte zu Behörden und Geheimdiensten. Auch die präparierte Ibiza-Finca wurde offenbar durch diese Kontakte vermittelt. Zudem wurde die Sicherheitsgruppe in früheren Strafverfahren durch den österreichischen Geheimdienst BVT gedeckt.

Im Dezember 2019 wurde zudem bekannt, dass auch die angebliche Oligarchennichte von einem Geheimdienst offenbar in Osteuropa gedeckt wird, für den sie als Lockvogel arbeite. Auch der Chef der Sicherheitsgruppe scheint weiterhin geschützt zu werden.

Einige Indizien sprechen dafür, dass Mitarbeiter des österreichischen BVT selbst in die Ibiza-Aktion involviert waren, wie es der ehemalige österreichische Innenminister Kickl vermutete, der im Februar 2018 eine Razzia beim BVT durchführte.

Vom deutschen BND ist bekannt, dass er in der Vergangenheit österreichische Politiker und Ministerien systematisch überwachte. Zudem dürften die deutschen Dienste kaum übersehen haben, wenn ihre eigenen Medien, »Komiker« und »Künstler­gruppen« kurz vor der EU-Wahl einen solchen Coup vorbereiten. Ehemalige BND-Chefs zeigten sich in den Medien gleichwohl überrascht und verwiesen stattdessen auf den Mossad, allerdings ohne dies zu belegen.

Im Dezember 2019 wurde zudem bekannt, dass sich der BND unmittelbar in die Ibiza-Ermittlungen eingeschaltet habe. Diese lieferten bislang allerdings kaum Erkenntnisse.

OE24 berichtete bereits am 18. Mai:  »Experten sehen die Möglichkeit, dass es sich um eine Inszenierung eines westlichen Geheimdienstes handelt. Wie Geheimdienstler () berichten, stehen dabei die Russland-Kontakte der FPÖ im Mittelpunkt. Man sorgte sich, wie die Zusammen­arbeit künftig funktionieren werde. Vor allem die USA seien verärgert, dass sich Österreich zunehmend auf die Seite Moskaus stelle, und befürchten, dass Informationen Richtung Russland abfließen könnten.«

Es ist bekannt, dass die private Sicherheitsgruppe bereits zuvor prominente oder vermögende Personen ausspioniert und teilweise erpresst hatte. Die entscheidende Frage ist indes, ob diese Gruppe von Dritten für politische oder geopolitische Ziele verwendet wurde.

Das »Zentrum für Politische Schönheit«

Im Rahmen der Ibiza-Affäre wurde das Berliner »Zentrum für Politische Schönheit« (ZPS) als Vertragspartei für den Videokauf genannt. Das ZPS gilt gemeinhein als eine »linke« Künstler- und Aktionsgruppe, doch diese Einschätzung ist fragwürdig, denn tatsächlich ist das ZPS eher als »künstlerisches« Instrument von Staatsschutz und NATO einzustufen.

Gegründet 2008, setzte es sich ab 2011 sowohl für die NATO-Intervention gegen Libyen als auch für den Krieg gegen Syrien ein. Seither unterstützt es mit Aktionen die Mittel­meer­migration (oder nimmt deren Gegner ins Visier), wie sie vom ehemaligen EU-Wett­bewerbs­kommissar, WTO-Generaldirektor, Goldman-Sachs-Präsidenten und UNO-Migrations­beauftragen Peter Sutherland gefordert wurde.

Der Kapitalismus wird derweil gegen »linke Kritiker« verteidigt. 2015 erhielt das Zentrum eine Auszeichnung einer regierungs­nahen Berliner Stiftung mit Staatsschutz-Kontakten. 2017 rief es erneut zum Sturz US-kritischer Regierungen auf – natürlich nur künstlerisch.

Ein deutscher Autor spricht denn auch vom »Atlantik-Zentrum für Politische Schönheit«.

Die »Integrity Initiative«

In den 2018 veröffentlichten Dokumenten der »Integrity Initiative« des britischen militärischen Geheimdienstes ist auch Österreich aufgeführt, und zwar mit dem Zieldatum des Oktober 2017: dem Datum der österreichischen Parlamentswahlen, in deren Vorfeld das Ibiza-Video entstand.

Als Kontaktpersonen für Österreich sind angegeben eine (britische) Mitarbeiterin der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit Fachgebiet Osteuropa/Russland, sowie ein ehemaliger britischer Geheimdienstmitarbeiter. Die SWP wird von der deutschen Bundes­regierung finanziert und organisierte 2012 zusammen mit einem US-Institut eine Serie von Workshops zur Planung der Zeit nach einem Regimewechsel in Syrien.

Die »Integrity Initiative« versuchte bereits in mehreren Ländern, Russland-freundliche Politiker und Spitzenbeamte zu verhindern oder zu Fall zu bringen. Für die Schweiz ist als Zieldatum der Oktober 2019 angeben: das Datum der Eidgenössischen Wahlen.

Die Initiative wird hauptsächlich vom britischen und amerikanischen Außen­ministerium und von der NATO finanziert. Traditionelle Medien haben bis heute nicht über die Aufdeckung der Geheimdienst-Initiative und ihres internationalen Netzwerks im Dezember 2018 berichtet.

Attentatspläne gegen Strache und Salvini

Der ehemalige österreichische Vize-Kanzler Strache und der italienische Vize-Premier Salvini vertreten beide eine EU-kritische und Russland-freundliche Position. Beide schlossen beispiels­weise ein Kooperations­abkommen mit der Putin-Partei Einiges Russland und beide möchten die Russland-Sanktionen beenden.

Gegen beide gab es eine Video- bzw. Audio-Falle im Zusammenhang mit Russland, und gegen beide wurden inzwischen Attentatspläne bekannt. Salvini wurde von den Medien zuletzt zudem mit dem ehemaligen Premierminister Aldo Moro verglichen, der in den 1970er-Jahren eine Annäherung an Moskau suchte, von Kissinger gewarnt und schließlich entführt und ermordet wurde.

Fazit

Der privaten Sicherheitsgruppe, die die Ibiza-Aktion unmittelbar durchführte, scheint es primär um den finanziellen Erlös des Videoverkaufs gegangen zu sein, der sich im Sommer 2017 in Österreich noch nicht realisieren ließ, womöglich auch wegen der gleichzeitig auffliegenden Silberstein-Affäre. Es bleibt indes die Frage, ob diese Gruppe aus politischen oder geopolitischen Gründen von Dritten beauftragt, benutzt, unterstützt oder gedeckt wurde. Wie dargelegt, deutet einiges darauf hin.

Medienberichte auf Basis dieser Recherchen
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